Der Traum
Am Anfang, da war er noch ganz klein,
weil wir dachten, es kann ja nicht sein.
Doch das Gefühl, das den Traum belebt
ihn aus seiner Wiege hebt.
Und er begann für uns zu leben,
sich über den Alltag zu erheben.
Wir haben geglaubt, wir können es zwingen,
können dem Schicksal den Sieg abringen.
Gaben ihm Nahrung, schenkten ihm Licht.
Und hofften, dass er nicht vorschnell zerbricht.
Dann wurden wir mutig und packten ihn voll,
gab vieles, was in den Traum hinein soll.
Und wenn das Sonnenlicht auf ihn fiel
erstrahlte ein herrliches Farbenspiel.
Nun konnten wir uns im Traume erkennen,
all unsere Sehnsüchte beim Namen nennen.
Er wuchs und wurde groß und prächtig;
Wir fühlten uns stark und überaus mächtig.
Dann begann er zu zittern, zu flirren im Wind
- Wir wollten ihn halten noch ganz geschwind.
Wir liefen ihm nach und wollten ihn fangen
- sind wir dabei zu weit gegangen?
Wir waren behutsam, umkreisten ihn weich,
begleiteten ihn in sein fernes Reich.
Und trotzdem war es dann vorbei –
Der schöne Traum, er war entzwei.
Das Schicksal zeigt uns die lange Nase,
der Traum, er war eine Seifenblase...
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© Heidemarie Susanna Kießlich
aus dem Buch
Das Haus des Lebens
Lyrika-Verlag